Streifzug durch die Geschichte von Alsterdorf

Alsterdorf, erstmals 1219 urkundlich als "Alsterthorpe" erwähnt, entstand im 11. Jahrhundert n. Chr., als erste Siedler sich auf den etwas höher gelegenen und vor Hochwasser sicheren Flächen am Süden der Alsterwiesen niederließen. Der alte Siedlungskern lag im Bereich der heutigen Bebelallee zwischen Heubergredder und Alsterdorfer Damm.

Die Landgemeinde Alsterdorf reichte vom heutigen Jahnring im Süden bis zum Alsterlauf im Norden und gehörte über Jahrhunderte zum Herzogtum Holstein und damit zur dänischen Krone, kirchlich jedoch wie alle Ortschaften zwischen Eppendorf und Ochsenzoll zur Kirchengemeinde Eppendorf. 1803 wurde Alsterdorf nach längeren Verhandlungen mit seinerzeit ca. 120 Einwohnern von Dänemark an das Kloster St. Johannis in Eppendorf abgegeben, das dafür das nördlich von Quickborn gelegene Dorf Bilsen im Tausch an Dänemark abgab. Aber erst 1831 kam die Gemeinde Alsterdorf in die staatliche Obhut von Hamburg als eigenständige Landgemeinde.

1860 kaufte Heinrich Matthias Sengelmann - Pastor an der Hamburger St. Michaelis-Kirche – den historischen Brauhof in Alsterdorf und verlegte das 1850 von ihm gegründete „St. Nicolai-Stift“, eine christliche Arbeitsschule für geistig gesunde, aber sozial benachteiligte Kinder dorthin. Nach Aufbau einer Gartenbauschule gründete er die „Alsterdorfer Anstalten“ und begann ab 1863 mit der Betreuung geistesschwacher und epileptischer Menschen. 1867 gab er sein Pastorenamt an der St. Michaelis-Kirche auf und sorgte für den weiteren Ausbau der Alsterdorfer Anstalten. Am 3. Advent 1889 wurde auf dem Anstaltsgelände die St. Nicolaus-Kirche eingeweiht, die als Gottesdienststätte auch den Einwohnern der umliegenden Dörfer offen.

Ebenfalls 1860 hob Hamburg die Torsperre auf und bildete eine neue Zollgrenze unter Einbeziehung der direkten Vororte wie Eppendorf und Winterhude. Damals war Alsterdorf Zollausland und Reisende wurden in Höhe der Alsterdorfer Straße 234 - zwischen Wolffsonweg und Carl-Cohn-Straße - von Zollbeamten kontrolliert. 1888 fiel mit der Fertigstellung der Speicherstadt und der Einrichtung des Freihafens auch diese innere hamburgische Zollgrenze fort und Alsterdorf wurde für die Besiedelung immer attraktiver. Viele Handwerker, vor allem Bleicher, zogen aus der Innenstadt und aus Winterhude nach Alsterdorf. Beschleunigt wurde die Entwicklung mit dem Bau der elektrischen Straßenbahn, die seit 1896 vom Winterhuder Marktplatz durch die Alsterdorfer Straße bis nach Ohlsdorf fuhr.

Am 1. Januar 1913 wurde Alsterdorf ein Stadtteil von Hamburg. Fritz Schumacher, seit 1909 Baudirektor in Hamburg, entwickelte das Konzept der Alsterkanalisierung und der Neustrukturierung der Straßenzüge beidseitig der ehemals sehr breiten Alsterwiesen. 1913 begann der bis 1920 dauernde Ausbau des Alsterkanals bis nach Fuhlsbüttel/Ohlsdorf zur dortigen Ohlsdorfer Schleuse. Parallel entstanden u.a. die Straßenzüge Bebelallee/Rathenaustraße/Brabandstraße. Aus mancher ehemaligen Alsterschleife wurde nun ein kleiner Nebenkanal, wie der Brabandkanal, der Skagerakkanal oder der Inselkanal. 1912 nahm die Hamburger Hochbahn ihren Betrieb auf und mit dem Bau der Strecke von der Kellinghusenstraße über Ohlsdorf bis Ochsenzoll bekam Alsterdorf im Dezember 1914 eine eigene Haltestelle und war nun mit der Hochbahn, der elektrischen Straßenbahn und dem Alsterdampfer gut erreichbar. Sicher ein Grund für die in den 1920er Jahren einsetzende rasche Besiedlung des Stadtteils mit Genossenschaftsbauten entlang der Hochbahntrasse und den Villen in Alsternähe an der Bebelallee, Inselstraße oder Brabandstraße.

Vor dem Hintergrund dieser Bevölkerungsentwicklung wurde Alsterdorf-Ohlsdorf 1924 eigener Pfarrbezirk und erhielt mit Friedrich Maywald den ersten Pastor, der bis zu seinem Tode im Jahre 1959 in der Alsterdorfer Gemeinde blieb. In dieser Zeit wuchs die Einwohnerzahl von 3.500 im Jahre 1924 auf etwa 27.000 Einwohner Anfang der 1960er Jahre an und der Gemeinde fehlte es zunehmend an eigenem Raum, denn nach wie vor gab es nur die St. Nicolaus-Kirche.

Ab 1934 wurde zwischen Hindenburgstraße, Heilholtkamp, Sengelmannstraße und der Hochbahntrasse die bereits in den 1920er Jahren geplante Alsterdorfer Gartenstadt gebaut. Die roten Backsteinhäuser – seinerzeit nach strengen Bauvorschriften errichtet – prägen noch heute den östlichen Teil Alsterdorfs. Die gewachsene Alsterdorfer Kirchengemeinde sollte mit dem Martin-Rinckart-Saal mehr Raum für die kirchliche Arbeit bekommen. Am 3. Advent 1939 wurde der Martin-Rinckart-Saal an der Ecke Hindenburg-/Rathenaustraße eingeweiht. Für die Gemeindearbeit stand er aber erst nach Kriegsende 1945 zur Verfügung. Gottesdienststätte der Alsterdorfer Gemeinde blieb weiterhin die St. Nicolauskirche.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 hatte in Alsterdorf zu gravierenden Veränderungen geführt. So wurden im Zuge der Planungen zum Ausbau der Wehrmacht drei große Kasernenkomplexe hochgezogen: Die Hindenburg-Kaserne an der Hindenburgstraße, die Mackensen-Kaserne an der Carl-Cohn-Straße und die Hanseatenkaserne in der Sengelmannstraße/Suhrenkamp. Dass andere Zeiten angebrochen waren, merkten die Alsterdorfer auch daran, dass die 1922 angelegte Bebelallee in Adolf-Hitler-Straße umbenannt wurde. Die ebenfalls 1922 erbaute Rathenaustraße hieß nun Skagerakstraße. (Beide Straßen erhielten nach Ende des Krieges die alten Namen zurück).

In den Alsterdorfer Anstalten wurden auf Grundlage des 1933 erlassenen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zahlreiche „Pflegebefohlene“ unfruchtbar gemacht. Im Laufe der Naziherrschaft wurden bis 1945 im Rahmen der sogenannten Euthanasie mehrere hundert Bewohnerinnen und Bewohner der Anstalten deportiert und ermordet.

Nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 wurden die Alsterdorfer Kasernen zunächst von britischen Besatzungstruppen genutzt. Die Kasernen an der Hindenburgstraße und Carl-Cohn-Straße wurden später an die Hamburger Polizei übergeben, die das Gelände bis heute nutzt. Die Kasernen am Suhrenkamp und der Sengelmannstraße wurden von sozialen Einrichtungen genutzt.

Das zwischen dem 1914 fertiggestellten Stadtpark und den Bahnstrecken der Hochbahn gelegene Gebiet der heutigen City-Nord, damals noch zu Alsterdorf gehörend und unbebaut, wurde zur Besiedlung für Kleingärtner freigegeben. Allerdings nur vorübergehend, denn dort sollte eine große Sportanlage entstehen. Doch nach dem 1937 erfolgten Anschluss von Altona an Hamburg, wurde das Stadion nicht in Hamburg am Stadtpark, sondern am Altonaer Volkspark gebaut. Die Kleingärten blieben und später bauten immer mehr ausgebombte Hamburger ihren Kleingarten zum Dauerwohnsitz aus. 1959 lebten dort noch ca. 4.300 Bewohner, die der zwischen 1964 und 1974 erbauten City-Nord weichen mussten.

Anfang der 1950er Jahre begannen die Planungen für eine neue Alsterdorfer Kirche. Es sollte allerdings bis 1961 dauern, bis man an der Ecke Alsterdorfer Straße, Hindenburgstraße und Bebelallee einen geeigneten Bauplatz fand. Der Name der neuen Kirche stand schon vorher fest: Da die in der St. Michaelis-Gemeinde 1906 erbaute und 1943 zerstörte Luther-Kirche nicht wieder errichtet wurde, beschloss der Kirchenvorstand 1957, dass die zu errichtende Kirche den Namen Martin Luthers tragen soll. Am 22. August 1961 begannen die Bauarbeiten und am 10. März 1963 wurde die neue Alsterdorfer Martin-Luther-Kirche feierlich geweiht.

In den 1970er Jahren wurde die City-Nord weiter ausgebaut und es entstanden neue Wohnanlagen in unmittelbarer Nähe der U-Bahn Alsterdorf am Möhringbogen und am Wesselyring. Für die Berufstätigen in der City-Nord wurde die U-Bahn-Station Sengelmannstraße gebaut.

Zu Beginn der 1980er Jahre wurde auf dem Gelände des ehemaligen Anzuchtgartens an der Brabandstraße und einem Behelfsheimgebiet westlich der Hindenburgstraße die Wolfgang-Borchert-Siedlung erbaut, ein Wohngebiet mit 350 Reihenhäusern und Wohnungen, das nach holländischem Vorbild durch Spielstraßen, sogenannten Wohnerften, miteinander verbunden ist.

Die kleinen Straßen wurden nach Menschen aus dem „kleinen Widerstand“ der Nazizeit benannt. Zum Beispiel nach Julia Cohn, ermordete jüdische Lehrerin, nach Wilhelm Bock, ermordetes SPD-Mitglied  und nach Irma Sperling, einem 14jähriges Mädchen, das aus den „Alsterdorfer Anstalten“ nach Wien „verlegt“ und dort, ebenso wie andere Leidensgenossen - auch aus den „Alsterdorfer Anstalten“ -, ermordet wurde.


Ab den 1990er Jahren wurde das ehemalige Kasernengelände zwischen Maienweg und Suhrenkamp Schritt für Schritt in ein Wohngebiet und in ein Altersheim umstrukturiert, auf Grundstücken der Evangelischen Stiftung Alsterdorf entstanden neue Wohnkomplexe und im Bestand wurde weiter verdichtet; sei es durch Ersatz eines 1890er Hauses mit 2 Wohnungen durch einen mehrgeschossigen Wohnungsbau mit 20 Wohnungen, oder die 2010/2011 erfolgte Aufstockung von Reihenhäusern der 1960er Jahre an der Bebelallee/Wolffsonweg.

Trotz der Verdichtung und des Einwohnerzuwachses in den vergangenen 20 Jahren hat sich Alsterdorf, rechts und links des Alsterlaufes, in vielen Ecken ein Stück „ländlichen Charme“ bewahrt, sei es das Kopfsteinpflaster im nördlichen Teil des Heubergredders, der mächtige 1872 erbaute Hinschenhof hinter hohen „Hofbäumen“ versteckt am Alsterlauf oder der Skagerakkanal, gesehen von der Brücke am Wolffsonstieg als Teil des ursprünglichen Alsterlaufs vor der Kanalisierung.

Die „Erholungsader“ für alle Alsterdorfer ist und bleibt die in eine grüne Erholungsstruktur (mit Wiesen und Kleingärten) eingebettete Alster, die zum Spazierengehen, zum Rudern, Paddeln oder Kanufahren, manchen Winter zum Eislaufen und seit wenigen Jahren auch mal wieder für ein kurzes Bad in heißen Sommern einlädt.

Jörg W. Lewin, Hamburg-Alsterdorf